Nach­weis der kür­ze­ren Rest­nut­zungs­dau­er eines Gebäudes

Die Abschrei­bung für ein zur Ein­künf­te­er­zie­lung genutz­tes Gebäu­de bestimmt sich regel­mä­ßig nach gesetz­lich fest­ge­leg­ten Pro­zent­sät­zen (§ 7 Abs. 4 Satz 1 EStG). Die­se Rege­lung stellt eine Typi­sie­rung der für die Bemes­sung der Abschrei­bung her­an­zu­zie­hen­den sog. betriebs­ge­wöhn­li­chen Nut­zungs­dau­er dar. Hier­un­ter ist nicht die Gesamt­nut­zungs­dau­er eines Gebäu­des zu ver­ste­hen, son­dern nur der Zeit­raum der Nut­zung durch den jewei­li­gen Eigen­tü­mer, und zwar vom Zeit­punkt der Anschaf­fung oder Her­stel­lung ange­rech­net. Bei jedem Eigen­tü­mer­wech­sel, dem ein ent­gelt­li­ches Rechts­ge­schäft zugrun­de liegt, beginnt die Nut­zungs­dau­er daher neu zu lau­fen. Infol­ge­des­sen kann sich bei einem Gebäu­de ein über der typi­sier­ten Nut­zungs­dau­er lie­gen­der Gesamt­ab­set­zungs­zeit­raum ergeben.

Alter­na­tiv kann die Abschrei­bung für ein (i.d.R. gebraucht erwor­be­nes) Gebäu­de auch ent­spre­chend der (ver­kürz­ten) tat­säch­li­chen Nut­zungs­dau­er vor­ge­nom­men wer­den (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 11c EStDV); die dafür erfor­der­li­chen Nach­wei­se hat der Steu­er­pflich­ti­ge im Rah­men der ihm oblie­gen­den Mit­wir­kungs­pflich­ten zu erbrin­gen. Der BFH lässt dies­be­züg­lich in sei­nem Urteil vom 28.07.2021 (Az. IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108) jede Dar­le­gungs­me­tho­de, die im Ein­zel­fall zur Füh­rung des erfor­der­li­chen Nach­wei­ses geeig­net erscheint, zu; ins­be­son­de­re ist die Vor­la­ge eines Bau­sub­stanz­gut­ach­tens nicht Vor­aus­set­zung für die Aner­ken­nung einer ver­kürz­ten tat­säch­li­chen Nut­zungs­dau­er. Das FG Müns­ter kon­kre­ti­siert die Nach­weis­an­for­de­run­gen in sei­nem Urteil vom 27.01.2022 (Az. 1 K 1741/18 E, rkr.) für ein im Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fah­ren erwor­be­nes und künf­tig der Erzie­lung von Miet­ein­künf­ten die­nen­des bebau­tes Grundstück.

Im Streit­fall vor dem FG Müns­ter beauf­trag­te das Amts­ge­richt im Rah­men des Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fah­rens ein Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten auf Basis der Wert­ermitt­lungs­ver­ord­nung zur Fest­stel­lung des Grund­stücks­werts, in dem u.a. eine Rest­nut­zungs­dau­er des Gebäu­des von 30 Jah­ren ermit­telt wur­de. Der Erwer­ber mach­te dar­auf­hin eine jähr­li­che Abschrei­bung des Gebäu­des von 3,33 % als Wer­bungs­kos­ten aus Ver­mie­tung und Ver­pach­tung gel­tend. Das Finanz­amt berück­sich­tig­te hin­ge­gen den gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Abschrei­bungs­satz von 2 %, da das Gut­ach­ten weder eine kür­ze­re tech­ni­sche Nut­zungs­dau­er bspw. durch Dar­le­gung eines mate­ri­el­len Ver­schlei­ßes der Roh­bau­ele­men­te noch eine kür­ze­re wirt­schaft­li­che Nut­zungs­dau­er im steu­er­recht­li­chen Sinn bele­ge. Das FG Müns­ter widersprach.

Erfor­der­lich und aus­rei­chend ist es, dass die Dar­le­gun­gen des Steu­er­pflich­ti­gen Auf­schluss über die maß­geb­li­chen Fak­to­ren geben, wel­che die Nut­zungs­dau­er im Ein­zel­fall beein­flus­sen, wie bspw. der tech­ni­sche Ver­schleiß, die wirt­schaft­li­che Ent­wer­tung oder recht­li­che Nut­zungs­be­schrän­kun­gen. Das Finanz­amt muss danach jede Berech­nungs­me­tho­de akzep­tie­ren, die sach­ge­recht und plau­si­bel auf die Ermitt­lung der tech­ni­schen oder wirt­schaft­li­chen Rest­nut­zungs­dau­er gerich­tet ist; so wie im Streit­fall das Gut­ach­ten eines Bau­sach­ver­stän­di­gen auf Basis der Wert­ermitt­lungs­ver­ord­nung. Denn die i.d.R. im Schätz­we­ge vor­ge­nom­me­ne Ermitt­lung ver­langt kei­ne Gewiss­heit über die kür­ze­re tat­säch­li­che Nut­zungs­dau­er, son­dern allen­falls größt­mög­li­che Wahr­schein­lich­keit. Die Schät­zung ist nur dann abzu­leh­nen, wenn sie ein­deu­tig außer­halb des ange­mes­se­nen Schät­zungs­rah­mens liegt, wovon das FG Müns­ter im Streit­fall aber nicht aus­ge­gan­gen war.

Hin­weis:

Bedau­er­li­cher­wei­se hat der BFH sein grund­le­gen­des Urteil vom 28.07.2021 zu den Anfor­de­run­gen an den Nach­weis einer kür­ze­ren tat­säch­li­chen Nut­zungs­dau­er als sog. NV-Entscheidung, also nicht ver­öf­fent­lich­te Ent­schei­dung, ein­ge­ord­net. Es ent­fal­tet somit – wie auch das Urteil des FG-Münster vom 27.01.2022 — kei­ne Wir­kung über den ent­schie­de­nen Ein­zel­fall hin­aus. In ver­gleich­ba­ren Fäl­len müss­te daher ggf. ein eigen­stän­di­ges Kla­ge­ver­fah­ren ange­strengt wer­den, um einen höhe­ren Abschrei­bungs­satz — bedingt durch eine tat­säch­lich kür­ze­re Rest­nut­zungs­dau­er – zu erreichen.