Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge

Säumniszuschläge entstehen insbesondere bei der verspäteten Zahlung von Steuern und werden für jeden angefangenen Monat der Säumnis mit 1 % des nach unten abgerundeten Steuerbetrags berechnet (§ 240 AO). Ihnen kommt dabei allerdings eine Doppelfunktion zu: Einerseits dienen Säumniszuschläge als Druckmittel, den Steuerpflichtigen durch Androhung einer verschuldensunabhängigen Sanktion zur pünktlichen Zahlung auf die sofort vollziehbaren Steuerbescheide anzuhalten. Andererseits beinhalten sie in Form eines Zinsanteils eine Gegenleistung bzw. einen Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuerschulden, um damit bspw. Verwaltungsaufwendungen abzugelten.

Wie hinsichtlich der bisherigen Höhe der sog. Vollverzinsung mit einem Zinssatz von 6 % p.a. bestehen auch im Hinblick auf die gesetzlich doppelt so hoch festgelegten Säumniszuschläge Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Zur Frage, ob und inwieweit daher im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der festgesetzten Säumniszuschläge in Betracht kommt, hat sich der BFH in seinem Beschluss vom 23.05.2022 (Az. V B 4/22 (AdV)) geäußert.

Im Streitfall stellte eine GmbH & Co. KG die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden zur Umsatzsteuer Mai 2013 sowie 2014 bis 2017 vom 27.04.2021 ausgewiesenen entstandenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge in Frage, da diese im Hinblick auf den darin enthaltenen Zinsanteil verfassungswidrig zu hoch seien. Sie legte daher mit Bezugnahme auf das derzeit noch anhängige BFH-Verfahren (Az. VII R 55/20) Einspruch gegen die Abrechnungsbescheide ein. Die in diesem Zusammenhang ebenfalls beantragte Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung betreffend die Säumniszuschläge lehnte das Finanzamt ab. Sowohl das erstinstanzliche FG Münster als auch der BFH sahen dies anders.

Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge ernstlich zweifelhaft, soweit sie nach dem 31.12.2018 entstanden sind, weil insoweit die Höhe des darin enthaltenen Zinsanteils zweifelhaft ist. Infolgedessen ist Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung für nach dem 31.12.2018 entstandene und nicht erlassene Säumniszuschläge zu gewähren. Dies gilt für die gesamte Höhe der entsprechenden Säumniszuschläge, weil es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt. Soweit die Säumniszuschläge vor dem 01.01.2019 entstanden sind, liegen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit vor; mithin ist die begehrte Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung betreffend die Säumniszuschläge also nicht begründet. Dies leiten sowohl das FG Münster als auch der BFH aus dem Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (Az. 1 BvR 2237/17 und 2422/17) ab, wonach die sog. Vollverzinsung mit einem Zinssatz von 6 % p.a. für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2013 zwar verfassungswidrig, aber aufgrund einer Fortgeltungsanordnung erst für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 nicht mehr anwendbar ist.

Zur im Streitfall ebenfalls relevanten Rechtsfrage, ob Säumniszuschlägen ab dem Zeitpunkt der Einstellung von Steuerzahlungen bzw. spätestens mit Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Funktion als Druckmittel zukommt, wird der Ausgang des derzeit noch anhängigen BFH-Verfahrens (Az. VII R 55/20) abgewartet.

Hinweise:

Auf den o.g. Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 reagierte der Gesetzgeber mit dem am 22.07.2022 in Kraft getretenen Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung und passte darin u.a. den Zinssatz der Vollverzinsung auf 1,8 % p.a. für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 an (sog. „Zinsanpassungsgesetz“). Andere Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung, wie insbesondere Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO), Aussetzungszinsen (§ 237 AO) und Säumniszuschläge (§ 240 AO), bedürften nach Auffassung des BVerfG allerdings einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung, weshalb diese bei den gesetzlichen Neuregelungen unberücksichtigt geblieben sind.

Mit Bezug auf das noch anhängige BFH-Verfahren (Az. VII R 55/20) sollte zumindest bei noch nicht rechtskräftigen Festsetzungen von Säumniszuschlägen, die nach dem 31.12.2018 entstanden sind, Einspruch eingelegt werden. Für die begehrte Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung von nach dem 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschlägen sollte der BFH-Beschluss vom 23.05.2022 (Az. V B 4/22 (AdV)) angeführt werden. Die Argumentation des aktuellen BFH-Beschlusses ist wohl aber auch auf die anderen Verzinsungstatbestände übertragbar, weshalb diese ebenfalls verfahrensrechtlich offen gehalten werden sollten.

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