Mög­li­che Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Abgeltungsteuer

Seit dem 01.01.2009 wer­den Ein­künf­te aus Kapi­tal­ver­mö­gen wie bspw. Zin­sen oder Divi­den­den mit einem pau­scha­len Ein­kom­men­steu­er­satz von 25 %, ggf. zzgl. Soli­da­ri­täts­zu­schlag und Kir­chen­steu­er, ver­steu­ert. Die Ein­kom­men­steu­er wird dabei i.d.R. von den Ban­ken ein­be­hal­ten und direkt an das Finanz­amt abge­führt. Zie­le der sei­ner­zeit ein­ge­führ­ten sog. Abgel­tung­s­teu­er waren die Stand­ort­för­de­rung des deut­schen Finanz­plat­zes, die Bekämp­fung der Steu­er­hin­ter­zie­hung und die Ver­ein­fa­chung des Besteue­rungs­ver­fah­rens. Das FG Nie­der­sach­sen geht in sei­nem Beschluss vom 18.03.2022 (Az. 7 K 120/21) der Rechts­fra­ge nach, ob die Besteue­rung der Kapi­tal­ein­künf­te im Wege der Abgel­tung­s­teu­er mög­li­cher­wei­se ver­fas­sungs­wid­rig ist, und hat die­se dem BVerfG zur Klä­rung vorgelegt.

Im Streit­fall erziel­te ein Ver­si­che­rungs­mak­ler in den Jah­ren 2013, 2015 und 2016 gewerb­li­che Ein­künf­te, die mit sei­nem per­sön­li­chen Ein­kom­men­steu­er­satz (i.d.R. über 25 %) besteu­ert wur­den. Dane­ben erhielt er Kapi­tal­ein­künf­te in Form von ver­deck­ten Gewinn­aus­schüt­tun­gen aus meh­re­ren Betei­li­gun­gen an Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten und von Zin­sen. Die­se wur­den mit dem abgel­ten­den Steu­er­satz i.H.v. 25 % besteu­ert. Im Rah­men einer Betriebs­prü­fung waren ein­zel­ne, nicht wei­ter rele­van­te Besteue­rungs­grund­la­gen strit­tig, die das FG Nie­der­sach­sen inhalt­lich zuguns­ten des Ver­si­che­rungs­mak­lers ent­schied. Vor dem Hin­ter­grund einer etwa­igen ver­fas­sungs­wid­ri­gen Besteue­rung der Kapi­tal­ein­künf­te im Wege der Abgel­tung­s­teu­er ist das Kla­ge­ver­fah­ren der­zeit aller­dings noch nicht im Sin­ne des Ver­si­che­rungs­mak­lers abgeschlossen.

Die Anwen­dung des abgel­ten­den Steu­er­sat­zes i.H.v. 25 % auf die Kapi­tal­ein­künf­te ist zwar auf Grund­la­ge der gel­ten­den Geset­zes­la­ge zutref­fend erfolgt. Die zugrun­de­lie­gen­den Vor­schrif­ten ver­sto­ßen nach Auf­fas­sung des FG Nie­der­sach­sen jedoch gegen die im Grund­ge­setz ver­an­ker­te Vor­ga­be der Gleich­be­hand­lung aller Ein­kunfts­ar­ten und einer gleich­mä­ßi­gen Besteue­rung nach der indi­vi­du­el­len Leis­tungs­fä­hig­keit und sei­en daher ver­fas­sungs­wid­rig. Die Abgel­tung­s­teu­er füh­re danach zu einer Ungleich­be­hand­lung zwi­schen Bezie­hern pri­va­ter Kapi­tal­ein­künf­te, die mit einem Steu­er­satz von 25 % abgel­tend belas­tet wer­den, und den übri­gen Steu­er­pflich­ti­gen, die einem Steu­er­satz von bis zu 45 % unter­lie­gen. Hier­für sei­en auch kei­ne den ver­fas­sungs­recht­li­chen Anfor­de­run­gen ent­spre­chen­den Recht­fer­ti­gungs­grün­de ersicht­lich, zumal sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ins­be­son­de­re die Mög­lich­kei­ten der Finanz­ver­wal­tung, im Aus­land befind­li­ches Ver­mö­gen zu ermit­teln, kon­ti­nu­ier­lich ver­bes­sert hätten.

Dar­über hin­aus sei­en die ursprüng­li­chen Zie­le der sei­ner­zeit ein­ge­führ­ten Abgel­tung­s­teu­er nicht erreicht wor­den, da die­se weder zur Stand­ort­för­de­rung des deut­schen Finanz­plat­zes geeig­net sei noch zu einer wesent­li­chen Ver­ein­fa­chung des Besteue­rungs­ver­fah­rens geführt habe.

Hin­weis:

Das zum 31.12.2015 in Kraft getre­te­ne Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz, wonach erst­mals für das Steu­er­jahr 2016 Infor­ma­tio­nen über Finanz­kon­ten in Steu­er­sa­chen zwi­schen dem BZSt und der zustän­di­gen Behör­de des jeweils ande­ren Staa­tes auto­ma­tisch aus­zu­tau­schen sind, soll grenz­über­schrei­ten­dem Steu­er­be­trug und Steu­er­hin­ter­zie­hung ent­ge­gen­wir­ken. Folg­lich könn­te eine wesent­li­che ursprüng­li­che Ziel­set­zung für die Ein­füh­rung der Abgel­tung­s­teu­er zumin­dest ab die­sem Zeit­punkt über­holt sein.

Mög­li­cher­wei­se könn­te das BVerfG eine stich­tags­be­zo­ge­ne Betrach­tung anstren­gen und eine even­tu­el­le Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Abgel­tung­s­teu­er vom Inkraft­tre­ten des Finanzkonten-Informationsaustauschgesetzes abhän­gig machen. Vor dem Hin­ter­grund unzäh­li­ger dann zu ändern­der Steu­er­ver­an­la­gun­gen (soweit ver­fah­rens­recht­lich zuläs­sig) käme aber auch eine sog. Fort­gel­tungs­an­ord­nung durch das BVerfG trotz ggf. bestehen­der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit in Betracht, sodass dem Gesetz­ge­ber erst für spä­te­re oder künf­ti­ge Jah­re eine Neu­re­ge­lung hin­sicht­lich der Besteue­rung von Kapi­tal­ein­künf­ten auf­er­legt wird.

Die Beschluss­vor­la­ge des FG Nie­der­sach­sen an das BVerfG führt zur Ver­un­si­che­rung aller Steu­er­pflich­ti­gen, die bis­lang vom abgel­ten­den Steu­er­satz i.H.v. 25 % pro­fi­tiert haben. Indi­vi­du­el­le Gestal­tungs­über­le­gun­gen soll­ten aber nicht über­eilt, son­dern allen­falls unter aus­rei­chen­der Beur­tei­lung der damit ver­bun­de­nen han­dels­bi­lan­zi­el­len, steu­er­li­chen und wirt­schaft­li­chen Fol­gen vor­ge­nom­men werden.