Kein „Ein­stiegs­test“ bei der Über­tra­gung von Antei­len an gewerb­lich täti­gen Kapitalgesellschaften

(jeweils Tag auch für den FB Vermögens- und Unternehmensnachfolge)

Die erbschaft- und schen­kung­steu­er­li­chen Begüns­ti­gun­gen für Betriebs­ver­mö­gen sind nach § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen, wenn der danach modi­fi­zier­te Wert des Ver­wal­tungs­ver­mö­gens min­des­tens 90 % des gemei­nen Werts des grund­sätz­lich begüns­ti­gungs­fä­hi­gen Ver­mö­gens beträgt (sog. Brut­to­ver­wal­tungs­ver­mö­gens­test als Ein­stiegs­test). Dass die­se Rege­lung jedoch nicht für die Über­tra­gung von Antei­len an einer ori­gi­när gewerb­li­chen Kapi­tal­ge­sell­schaft gilt, hat das FG Müns­ter mit Urteil vom 24.11.2021 (Az. 3 K 2174/19 Erb) entschieden.

Der Vater schenk­te sei­ner Toch­ter im Jahr 2017 alle Antei­le an einer GmbH, die Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te ver­trieb und auch for­schend tätig war. Der Wert der Antei­le an der GmbH betrug nach den unstrit­ti­gen Fest­stel­lun­gen des Finanz­am­tes rund EUR 560.000, die Sum­me der gemei­nen Wer­te der Finanz­mit­tel rund EUR 2,5 Mio., des Ver­wal­tungs­ver­mö­gens EUR 0 und der Schul­den rund EUR 3.1 Mio. Das Finanz­amt ver­sag­te wegen der Erfül­lung des sog. Ein­stiegs­tests die Begüns­ti­gun­gen für Betriebs­ver­mö­gen gemäß § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG. Der hier­ge­gen erho­be­nen Kla­ge gab das FG Müns­ter jedoch statt.

Nach dem Geset­zes­wort­laut war die begehr­te Begüns­ti­gung für Betriebs­ver­mö­gen zwar offen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen, da Ver­wal­tungs­ver­mö­gen und Finanz­mit­tel mehr als 90 % des fest­ge­stell­ten gemei­nen Wer­tes der über­tra­ge­nen Antei­le betru­gen. Das FG legt die Vor­schrift aber ihrem Norm­zweck ent­spre­chend im Wege der teleo­lo­gi­schen Reduk­ti­on ein­schrän­kend aus. Danach kommt die­ser „Ein­stiegs­test“ dann nicht zur Anwen­dung, wenn die Kapi­tal­ge­sell­schaft, deren Antei­le über­tra­gen wur­den, einer Tätig­keit im Sin­ne der Gewinn­ein­kunfts­ar­ten des EStG nach­geht. Mit dem Ver­trieb von Arz­nei­mit­teln und Medi­zin­pro­duk­ten bestand der Haupt­zweck der Tätig­keit der GmbH im Streit­fall in einer ori­gi­när gewerb­li­chen Tätig­keit, wes­halb der „Ein­stiegs­test“ nach Auf­fas­sung des FG zu unter­blei­ben hat.

Beim „Ein­stiegs­test“ han­delt es sich nach sei­nem Sinn und Zweck um einen spe­zi­el­len Miss­brauchs­ver­mei­dungs­tat­be­stand: Antei­le, die nahe­zu aus­schließ­lich aus Ver­wal­tungs­ver­mö­gen bestehen, sol­len von der Ver­scho­nung aus­ge­nom­men sein. Geht die Kapi­tal­ge­sell­schaft in ihrem Haupt­zweck aber einer gewerb­li­chen Tätig­keit nach, besteht kei­ne Miss­brauchs­ge­fahr. Dies gilt ins­be­son­de­re für Handels- und Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men, wie es die GmbH der Klä­ge­rin betreibt, die zudem noch typi­scher­wei­se einen ver­gleichs­wei­se hohen Bestand an For­de­run­gen aus Lie­fe­run­gen und Leis­tun­gen aus ihrer gewöhn­li­chen Geschäfts­tä­tig­keit aufweisen.

Durch eine unein­ge­schränk­te Anwen­dung des Ein­stiegs­tests wür­den für sol­che Unter­neh­men viel­mehr Anrei­ze gesetzt, ent­ge­gen ihrem gewach­se­nen und übli­chen Geschäfts­mo­dell Aus­weich­ge­stal­tun­gen oder betriebs­wirt­schaft­lich nicht sinn­vol­le bzw. nach­tei­li­ge Vor­ge­hens­wei­sen zu wäh­len, um einen posi­ti­ven „Ein­stiegs­test“ zu errei­chen. Das FG sieht des­halb eine teleo­lo­gi­sche Reduk­ti­on des Geset­zes nach dem jewei­li­gen Haupt­zweck der Tätig­keit auch als durch den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG geboten.

Hin­weis

Das FG Müns­ter hat die Revi­si­on zum BFH zuge­las­sen, die zwi­schen­zeit­lich ein­ge­legt wur­de und unter dem Az. II R 49/21 anhän­gig ist. Eine Ver­sa­gung der Begüns­ti­gun­gen von Betriebs­ver­mö­gen unter Hin­weis auf den sog. „Ein­stiegs­test“ im Zusam­men­hang mit der Über­tra­gung von Antei­len an gewerb­lich täti­gen Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten soll­te des­halb ent­spre­chend offen­ge­hal­ten wer­den. Die­se Rechts­grund­sät­ze soll­ten unse­res Erach­tens im glei­chen Umfang auch auf Per­so­nen­ge­sell­schaf­ten anzu­wen­den sein, deren Haupt­zweck eine gewerb­li­che Tätig­keit ist.

 

Höhe­re Erb­schaft­steu­er auf Ver­mie­tungs­im­mo­bi­li­en im Dritt­land europarechtswidrig?

Vor dem Hin­ter­grund einer ange­mes­se­nen Wohn­raum­ver­sor­gung sieht das Erbschaftsteuer- und Schen­kung­steu­er­ge­setz bei der Über­tra­gung von im Pri­vat­ver­mö­gen gehal­te­nen Ver­mie­tungs­im­mo­bi­li­en einen Ver­scho­nungs­ab­schlag von 10 % vor (§ 13d Abs. 1 ErbStG). Vor­aus­set­zung ist, dass die zu Wohn­zwe­cken ver­mie­te­ten Immo­bi­li­en im Inland, in der EU oder in einem Staat des Euro­päi­schen Wirt­schafts­raums bele­gen sind. Das FG Köln hat mit sei­nem Beschluss vom 02.09.2021 (Az. 7 K 1333/19) dem EuGH die Fra­ge vor­ge­legt, ob die Rege­lung zum Ver­scho­nungs­ab­schlag eine euro­pa­rechts­wid­ri­ge Dis­kri­mi­nie­rung gegen­über Dritt­staa­ten­im­mo­bi­li­en bedeutet.

Im Streit­fall erhielt ein Ver­mächt­nis­neh­mer u.a. Antei­le an im Dritt­land bele­ge­nen und sei­nem Pri­vat­ver­mö­gen zuzu­rech­nen­den Ver­mie­tungs­im­mo­bi­li­en. Er bean­trag­te, der Besteue­rung der Miet­wohn­grund­stü­cke unter Berück­sich­ti­gung des Ver­scho­nungs­ab­schlags ledig­lich 90 % des gemei­nen Werts zu Grun­de zu legen. Dass der Ver­scho­nungs­ab­schlag nur für im Inland, der EU oder des EWR bele­ge­ne Ver­mie­tungs­im­mo­bi­li­en gel­te, ver­sto­ße in Bezug auf einen Dritt­staat gegen die euro­pa­recht­li­che Kapi­tal­ver­kehrs­frei­heit (Art. 63 AEUV). Das Finanz­amt folg­te dem nicht und lehn­te die nied­ri­ge­re Besteue­rung ab; das FG Köln sah dies anders.

Die natio­na­le Steu­er­re­ge­lung des § 13d Abs. 1 ErbStG unter­schei­det für die Fest­set­zung der Erb­schaft­steu­er nach dem Bele­gen­heits­ort des Ver­mö­gens­ge­gen­stands. Dies ist zwar mit den EU-Vertragsbestimmungen über den frei­en Kapi­tal­ver­kehr ver­ein­bar, wenn die unter­schied­li­che Behand­lung objek­tiv nicht mit­ein­an­der ver­gleich­ba­re Situa­tio­nen betrifft oder sie durch zwin­gen­de Grün­de des All­ge­mein­in­ter­es­ses gerecht­fer­tigt ist.

Für eine erb­schaft­steu­er­li­che Schlech­ter­stel­lung von in einem Dritt­land befind­li­chen Ver­mie­tungs­grund­stü­cken erkennt das FG Köln aller­dings kei­ne aus­rei­chen­den Recht­fer­ti­gungs­grün­de. Ins­be­son­de­re wirkt der Schutz­be­reich der euro­pa­recht­li­chen Kapi­tal­ver­kehrs­frei­heit aus­drück­lich auch bei Dritt­staa­ten­sach­ver­hal­ten. Dabei beruft sich das FG Köln auf frü­he­re Ent­schei­dun­gen des EuGH, in denen Erb­schaf­ten als Kapi­tal­ver­kehr mit per­sön­li­chem Cha­rak­ter klas­si­fi­ziert wur­den. Die­se Grund­sät­ze dürf­ten auch bei Ver­mächt­nis­sen gel­ten. Zudem bestehen beim grenz­über­schrei­ten­den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch in der Regel kei­ne Schwierigkeiten.

Hin­weis

Mit Blick auf die euro­pa­recht­lich garan­tier­te Kapi­tal­ver­kehrs­frei­heit spre­chen gute Grün­de dafür, dass der erb­schaft­steu­er­li­che Ver­scho­nungs­ab­schlag i.S.d. § 13d Abs. 1 ErbStG auch bei im Dritt­land bele­ge­nen Ver­mie­tungs­im­mo­bi­li­en anzu­wen­den ist. Hier­über hat nun der EuGH zu ent­schei­den (Az. C‑670/21). Ver­gleich­ba­re Erbschafts- und Schen­kungs­fäl­le mit ver­mie­te­tem Grund­be­sitz im Nicht-EU/EWR-Ausland soll­ten mit Hin­weis auf das anhän­gi­ge EuGH-Verfahren offen­ge­hal­ten werden.